16. in Europa?!
- Anny Wu
- 22. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Sept.
Jedes Mal, wenn ich an die Europameisterschaften 2025 zurückdenke, kann ich es selbst kaum fassen, was alles passiert ist. Sechs Tage voller Erlebnisse, die ich nun versuche in Worte zu fassen.
Wie schon im letzten Jahr ging’s für uns mit dem Car los – diesmal Richtung Leipzig. Nach etwa zwölf Stunden Fahrt (gefühlt doppelt so lange…) kamen wir endlich im Hotel an. Zimmer beziehen, kurz durchatmen und dann: Fokus an. Eine strenge, aber aufregende Woche lag vor uns.
Unser Ziel für diese EM war es, eine starke Teamleistung zu zeigen und eine Qualifikation für das Mehrkampffinale, aber der Fokus lag ganz klar auf dem Team.
Am 26. Mai starteten die Meisterschaften – eingebettet in das deutsche Turnfest, was dem Ganzen eine besonders coole Atmosphäre verlieh.
Unser Wettkampf begann am Sprung. Yurchenko mit 3/2-Schraube – Premiere an einem Großanlass. Im Podiumstraining lief alles super. Doch als es dann zählte, kam die Nervosität. Ich stürzte – und bekam eine entsprechend bittere Note: 11.600. Das tat weh. Für mich, und fürs ganze Team.
Mir war klar: Jetzt muss ich alles geben, um das Team zu unterstützen. Ich wusste, dass ich das Potenzial habe, viele Punkte zur Wertung beizusteuern. Mit dieser Einstellung ging ich an die nächsten Geräte. Ich vertraute darauf, dass ich meine Übungen schaffen würde, wollte sie sauber austurnen und gleichzeitig genießen.
Und genau das habe ich getan. Ich wurde von Übung zu Übung sicherer, fand meinen Flow – und vor allem den Spaß zurück. Dieses Gefühl, auf der Fläche zu stehen, das Adrenalin zu spüren und trotzdem die Kontrolle zu behalten… unbezahlbar.
12.433 Punkte am Stufenbarren
12.433 Punkte am Schwebebalken
12.700 Punkte am Boden
49.199 Punkte im Mehrkampf = Q
Ich habe es geschafft: Ich habe mich für mein erstes Mehrkampffinale bei der Europameisterschaft qualifiziert! Dank der 2-Nationen-Regel und einem hauchdünnen Vorsprung von 0.033 Punkten auf die erste Reserveturnerin sicherte ich mir den 24. und letzten Startplatz fürs Finale. Der Quali-Wettkampf selbst war eine Achterbahn der Gefühle. Neben meinem Sturz am Sprung passierten uns im Team leider noch weitere Fehler, die uns am Ende auf Rang 15 zurückwarfen. Das war natürlich enttäuschend – vor allem, weil wir als Team viel Potenzial gezeigt haben.
SRF Sport Video:
Zwei Tage später stand ein historisches Format auf dem Programm: der erste Mixed-Team-Final bei einer Europameisterschaft! Ich durfte gemeinsam mit Noe Seifert die Schweiz vertreten – ein riesiges Privileg. Das Format erinnerte an den Swiss Cup: 16 Teams starten, die besten 8 kommen eine Runde weiter.
Unsere erste Runde lief richtig gut: Ich turnte am Sprung, Noe am Barren – wir kamen souverän weiter. In der zweiten Runde traten wir beide am Boden an. Leider stürzte ich in meiner letzten Akroserie und Noe gleich in seiner ersten. Damit war für uns im Halbfinale Schluss – Platz 8 im Endklassement.
SRF Sport Video:
Doch belastender als das Ergebnis war der Schmerz im Fuß nach meinem Sturz. Ich hatte Angst um meine Teilnahme im Mehrkampffinale. Ich wusste: Die nächsten 12 Stunden entscheiden alles. Also mobilisierten wir mit dem Medical-Team alle Kräfte. Intensive Pflege, gezielte Entlastung – und ganz viel mentale Vorbereitung.
Für mich stand von Anfang an fest: Ich will turnen. Ich wollte mir diese Chance nicht nehmen lassen. Nachdem das Medical-Team grünes Licht gab, war mein Motto klar: ALL IN.
Das Einturnen reduzierte ich auf ein Minimum. Die Schmerzen waren deutlich spürbar, aber ich wusste auch: Ich bin bereit. Ich war in Form, kannte meine Übungen im Schlaf – und ich stand am Morgen des Finaltags mit dem Gedanken auf:
I got nothing to lose.
In der Quali war ich 26. – und jetzt stehe ich im Finale der besten 24 Mehrkämpferinnen Europas. Damit hatte ich allein durch die Teilnahme schon gewonnen.
Ich startete am Boden – und spürte sofort: Das ist meine Revanche. Ich stellte die letzte Akroserie sauber auf die Beine. Erleichterung. Stolz. Gänsehaut. Ich hatte gezeigt, was in mir steckt.
Nicht einmal 24 Stunden nach meinem Sturz stand ich wieder auf derselben Bodenfläche – diesmal mit der Linie vor mir, bei der ich mich verletzt hatte. Doch ich dachte nicht an den Schmerz, sondern nur an die technischen Korrekturen. Fokus statt Angst.
An den weiteren Geräten – Sprung, Stufenbarren und Schwebebalken – konnte ich den Wettkampf einfach nur genießen. Ich hatte das Selbstvertrauen aus der Vorbereitung und wusste, dass ich es packen werde.
11.966 Punkte am Boden
12.700 Punkte am Sprung
12.466 Punkte am Stufenbarren
12.500 Punkte am Schwebebalken
49.632 Punkte im Mehrkampf = 16. Schlussrang
Ich denke, das Ergebnis spricht für sich.
Ich bin unglaublich stolz – und einfach nur dankbar, diese Erfahrung gemacht zu haben. Trotz aller Hürden, trotz der Verletzung: Ich würde alles genau so wieder machen.
SRF Sport Video:
Direkt nach dem Wettkampf ging es für einen kurzen Check ins Krankenhaus in Deutschland – einfach, um sicherzugehen und eine klare Diagnose zu bekommen. Die Folge: Ich musste erst mal pausieren.
Was das für den weiteren Verlauf der Saison bedeutet, war zu diesem Zeitpunkt noch offen…
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