Die Gründe, warum ich erst Mitte August zum Schreiben komme, sind nicht nur turnerischer Natur; auch schulisch war es für mich ein sehr anstrengendes Jahr.
Ich habe mich dazu entschieden alle Maturprüfungen in einem Jahr zu absolvieren, da ich mit dem Ende des Olympia-Zyklus auch direkt die Matura abschliessen wollte, um im Sommer 2024 den vollen Fokus auf meine turnerischen Karriere legen zu können, umso optimal in den Los Angeles 2028 Prozess zu starten. Somit hatte ich das gleiche Pensum, wie ein:e normale:r Gymnasiast:in im letzten Schuljahr.
Direkt nach der Entscheidung, die Schule ein Jahr früher abzuschliessen, wusste ich noch nicht, ob es wirklich aufgehen würde mit Wettkämpfen und Prüfungen. Doch ich hatte grosses Glück:
Mitte Februar bis Mitte März: World Cup Series und EM-Qualis
Direkt anschliessend: Maturprüfungssimulationswoche
April bis Mitte Mai: EM-Vorbereitung und EM
Mitte Mai: Maturprüfungen schriftlich
Anfangs Juni: Maturprüfungen mündlich
Mitte Juni: Maturfeier und SM
Mein Terminkalender war gefühlt mit Lernsessions, Trainings und nebenbei noch Europameisterschaften und Weltcups...
Doch am 15.6.2024 konnte ich endlich nach 7 (!!!) Jahren mein Maturzeugnis in den Händen halten und mich vom Gymnasium Biel-Seeland verabschieden. Es war für mich leider nicht zu verhindern das Gymnasium auf sieben Jahre zu erstrecken, da ich pro Tag maximal drei Lektionen in der Schule anwesend sein konnte und da es keine Sportklasse gab. Mein Stundenplan wurde mir persönlich erstellt, indem ich die Fächer, die ich für dieses Schuljahr besuchen musste, zum Teil in vier verschiedenen Schulklassen absolvierte. Somit sah ich in meiner Laufbahn viele Klassen kommen und gehen... Und nun endlich auch gehen zu dürfen mit einem guten Abschluss war fast zu schön um wahr zu sein. :)
Mit der Maturfeier schloss sich ein Kapitel in meinem Leben, welches gefüllt war mit Lernstunden, Funiculaire-Fahrten und Mensa-Fruchtsalate. Seit dem ich meine Trainingsstätte nach Magglingen gewechselt habe, war ich im Gymnasium am Bielersee und nun ist es eindlich an der Zeit etwas Neues zu beginnen!
Eine Woche nach der Maturfeier stand der letzte turnerische Event vor der Tür: die Schweizermeisterschaften der Elite in Biel (fast Heimspiel). Mein persönliches Ziel war es den Wettkampf zu geniessen. Die Halle war in der Swiss Tennis Arena und wir konnten bereits ein Tag vor dem Wettkampf ein kleines Podiumstraining absolvieren, um ein Gefühl für die Geräte zu bekommen. Ein Podiumstraining vor Wettkämpfen ist ein sehr wichtiges und informatives Training, um den Ablauf, die Halle kennenzulernen und die Geräte zu spüren, dass am Wettkampftag der Fokus voll auf den Übungen liegen kann. Ich hoffe, dass dies bald bei jeder Schweizermeisterschaft klappen kann.
In den ersten Wettkampfstag bin ich gut gestartet. Der Stufenbarren verlief ohne markante Fehler. Leider zählte mein Abgang nicht, weshalb die Ausgangsnote um ein paar Zehntel tiefer lag. Am Schwebebalken turnte ich eine sehr gute Übung. Ich war auch sehr erleichtert, als ich beide Füsse wieder auf dem Boden hatte, doch wiedermal waren die Kampfrichterinnen einer anderen Meinung und stuften Sprünge ab, wodurch ich erneut keine Sprungserie besass... Am Boden war die Übung auch sehr gut. Problem da war: Ich bekam einen neutralen Abzug von 0.3 Punkten, für einen Austritt der Bodenfläche, der nicht stattgefunden hat. Da ich nicht wusste, dass für neutrale Abzüge auch Einspruch eingelegt werden kann, lasteten die drei Zehntel auf meinem Punktekonto. Am Sprung versuchte ich diese Punkte wieder einzuholen. Ich hoffte mit einem einfachen, aber sauberen Sprung mindestens wieder auf die 50 Punkte zu gelangen.
Endresultat: 2. Rang mit 50.05 Punkten
Erste Mehrkampfmedaille geholt und 50-Punkte-Marke geknackt! Eigentlich soll es ein Resultat sein, auf das ich sehr stolz sein kann, doch die Enttäuschung überwiegt zum Teil auch noch heute. Es haben zwei Zehntel zum Titel gefehlt. Zwei Zehntel, die nicht hätten abgezogen werden sollen...
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, ein Mal ist es die Freude und die Motivation und ein Mal die Enttäuschung und das Gefühl von "Unfairness". Da habe ich definitiv auf harte Weise eine Lektion gelernt.
Am Folgetag fanden die Gerätefinals statt. Ich konnte mich für den Stufenbarren-, Schwebebalken- und Bodenfinal qualifizieren. Am Stufenbarren hatte ich beim Jägersalto einen Sturz, dennoch hat es gereicht für die Silbermedaille, da die Übung sauber geturnt war. Am Schwebebalken hatte ich einen grossen Wackler beim Freiüberschlag, da wusste ich, dass ich eine weitere Medaille vergeben habe. Am Boden war bei mir die Puste draussen. Bereits nach der ersten Linie merkte ich, wie meine Beine brannten. In der zweiten Linie verpasste ich den Absprung, weshalb ich die Schraubendrehung abbrechen musste und mich mit einer gehockten halben Schraube retten musste. Die Energie war nicht mehr da, weshalb ich in der letzten Linie stürzte. Naja, die letzen zwei Gerätefinals sind zum vergessen...
Als Gesamtes angesehen, weiss ich dass ich stolz auf meine Leistungen sein kann. Erneut wurde mein Potential bestätigt und das motiviert mich enorm, wenn ich auf dem richtigen Weg bin und so kurz vor dem Ziel bin.
Fotos: STV | Lino Neeser, Lukas Iseli
Ich bin sehr stolz dieses halbe Jahr mit einem hohen Pensum im Turnen mit Weltcups, EM und SM und mit einem hohen Pensum in der Schule absolviert zu haben. Durch diese Herausforderungen habe ich gelernt, die Zeit gut aufzuteilen und Dinge mit voller Konzentration und Fokus zu erledigen, dass sie effizient und schnellst möglich (meistens) erledigt werden.
Nach der Schweizermeisterschaft standen Ferien im Kalender. Ich bin eine Woche nach Koratien und die zweite Woche nach Paris an die olympischen Spiele gereist. Bis dahin habe ich in der Halle neue Elemente geübt, die ich hoffentlich für den neuen Olympiazyklus einbauen kann.
In Paris hatte ich die Möglichkeit einige Wettkämpfe vor Ort zu schauen. Die Stimmung in der Halle war elektrisierend und für mich extrem motivierend. Zu was einige Turnerinnen in Stande sind, ist auch für mich unglaublich und solche Momente und Übungen sehen zu können war "wow". Ich will nächstes Mal auch dabei sein. ;)
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